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Presse in Afghanistan
Von Ratbil Ahang
„Ich warte seit rund zwei Jahren vergeblich auf einen Interviewtermin mit Präsident Karzai. Anscheinend will er mit uns nicht reden“, sagt der in Afghanistan allseits bekannte Journalist Fahim Daschti. Er ist Chefredakteur des renommierten Wochenblattes Kabul Weekly, ein kritisches Journal, das eine Auflage von zehntausend Exemplaren landesweit erreicht. Die meisten afghanischen Publikationen können kaum mehr als eintausend Exemplare absetzen und sind in der Regel nur lokal bekannt. Kabul Weekly also ist eine publizistische Institution in Afghanistan und dennoch wird sie vom gewählten Präsidenten stiefmütterlich behandelt. Warum eigentlich? Hat es vielleicht etwas damit zu tun, dass die neuen Machthaber in Afghanistan zwar von der Pressefreiheit reden, diesen Begriff aber noch nicht verinnerlicht haben? Oder liegt es eher daran, dass die Pressefreiheit noch gar nicht in Afghanistan Einzug gehalten hat? „Sowohl als auch, “ meint der afghanische Starjournalist Daschti. Er ist der Ansicht, dass, weil sein Blatt die Politik der Regierung stets kritisch betrachtet, ihm der Wunsch nach einem Exklusivgespräch verwehrt wird. Der richtige Umgang mit der öffentlichen Kritik fehle den afghanischen Politikern, sagt Daschti. Die Politiker sind es also schuld? „Nicht ganz“ meint der Publizist Assadullah Walwalgi. Er ist der Auffassung, dass weder die Politiker noch die meisten Journalisten in seinem Land mit der neu gewonnenen Freiheit umgehen können. Es ist also nicht die Pressefreiheit, an der es fehlt, sondern das Bewusstsein verantwortlich mit dieser Freiheit Gebrauch umzugehen. „Viele Journalisten nennen ihre Beschimpfungen politische Kritik und die Politiker mögen es nicht, wenn ihnen überhaupt kritische Fragen gestellt werden“, erklärt der bekannteste Schriftsteller des Landes Rahnaward Zaryab. Seit kurzem aus seinem französischen Exil zurück gekehrt, bezeichnet er die Situation der Medien in seinem Land so: „Unseren Medien hat man die Freiheit gegeben, doch vergessen, die Gebrauchsanleitung hinzu zu legen“.
Die Situation der Medien in Afghanistan
Die Presse war in Afghanistan, abgesehen von einer kurzen Phase in den 60er Jahren, stets in der Hand des Staates. Ohne Erlaubnis der Behörden könnte nichts veröffentlicht und gedruckt werden. Wer dennoch Regierungskritisches schrieb, riskierte Leib und Leben. Radio und Fernsehen dienten wie die Printmedien primär nur einem Zweck: den Staat gut darzustellen. Diese Informationspolitik wurde von allen Regimen in Afghanistan verfolgt, ob es nun die Könige waren oder später die sogenannten Republikaner, die Kommunisten, die Mujaheddin oder die Taliban. Diese Politik hat sich nun nach dem Sturz der Taliban 2001 plötzlich geändert. Präsident Karzai erklärte, die Presse in seinem Land sei endlich frei. Kurz darauf schossen die neu gegründeten Verlage, Zeitungen und Zeitschriften wie Pilze aus dem Boden. Noch nie gab es in der Geschichte des Landes so viele private Publikationen wie es zurzeit der Fall ist. Das Ministerium für Kultur und Information zählt über 400 offiziell registrierte Publikationen. Die meisten von ihnen werden zwar in der Hauptstadt Kabul veröffentlicht und verteilt, dennoch sind über 400 Publikationen für ein Land mit über 80 Prozent Analphabeten ein großer Erfolg. Neu ist auch, dass es nicht nur private Tageszeitungen gibt, sondern auch Radio- und Fernsehsender. Das Informationsmonopol des Staates ist also im erheblichen Maße gebrochen. Eine Situation, die für viele im Land kaum nachvollziehbar ist. Viele afghanische Politiker sind es nicht gewöhnt, über ihr politisches Vorhaben zu sprechen und die Bürger zu informieren. Die Medienvertreter ihrerseits können es immer noch nicht fassen, dass sie ohne Gefahr für ihr Leben Kritik ausüben dürfen. Die vielen diktatorischen Regime und 23 Jahre Krieg hatten sie Vorsicht gelehrt. Doch was tun mit der Freiheit, die man nicht kennt? „Natürlich machen wir Journalisten viele Fehler, auch wir müssen erst lernen, was es heißt, frei zu sein“, sagt Fahim Daschti. Der unprofessionelle Umgang der Verantwortlichen mit der sensiblen Ware Information führt nun dazu, dass die Medien des Landes in einer tiefen Glaubwürdigkeitsfalle stecken. Die staatlichen Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen schaffen es nicht einerseits das Bedürfnis der Leute nach sachlich wertfreier Berichterstattung und andererseits nach Unterhaltungsprogrammen zu erfüllen. Die staatlich geführten Medien agieren zunehmend ideologisch und sind zum größten Teil dafür da, als Propagandamaschinerie der Regierung zu fungieren. Kritisch Bericht zu erstatten, ist auch nicht die Stärke der privaten Medien. Den Printmedien fehlt es offenbar an gut ausgebildeten Journalisten. Mit oft viel zu langen politischen Essays und literarischen Werken wie Gedichte und Kurzgeschichten werden die meisten Publikationen voll gestopft und auf den Markt geworfen. Es kann fast über alles geschrieben werden. Wer es aber wagt islamkritisch zu schreiben, wird schnell von den mächtigen islamistischen Gruppierungen als Verräter an der Sache Gottes beschimpft und mit Strafen bedroht. Kaum einer wagt es, sich mit diesen radikalen Islamisten anzulegen. Ihre Macht ist besonders außerhalb von Kabul, wo die Warlords und nicht die Zentralregierung das Heft in der Hand halten, sehr groß. Nicht selten werden in den Provinzen Journalisten angegriffen und zusammen geschlagen. Als der Präsidentschaftskandidat Latif Pedram im letzten Jahr die Polygamie in seinem Land kritisierte, war die Entrüstung der Islamisten groß. Man forderte die Behörden auf, ihn zu inhaftieren, doch es kam nicht dazu. Die privaten Radio- und Fernsehsender verzichten zum größten Teil auf politische Sendungen und binden ihr Publikum durch verschiedene Unterhaltungsformate an sich. Beliebt sind zum Beispiel Bollywood-Musik und Filme aus Indien. Ein Umstand, den der oberste Richter des Landes Großmufti Abdulhadi Schinwari unbedingt ändern möchte. Er will den Anteil der Musik- und Tanzsendungen im Fernsehen reduzieren. Bislang konnte der Religionsgelehrte nicht viel von seinem Vorhaben umsetzen, doch seine Macht und sein Einfluss sind groß. Den Fernsehsender Toloh konnte er immerhin einige Wochenlang aus dem Kabelnetz nehmen. Die internationale Organisation Journalisten ohne Grenzen forderte jüngst Präsident Karzai auf, die Ambitionen seines Obersten Richters zu drosseln. Karzai hat sich bislang dazu nicht geäußert. Wer sich also gut und fundiert über das politische Geschehen im Land und auf der Welt informieren will, hat nach wie vor keine große Auswahl. Daher vertrauen die Afghanen, wenn es um glaubwürdige politische Informationen geht, den Auslandsrundfunksendern wie BBC, Deutsche Welle und Voice of America und nicht den einheimischen Medien.
Ausländische Hilfe und die afghanischen Medien
Fast alle Medien in Afghanistan, können nur deshalb existieren, weil sie vom Ausland unterstützt werden. Viele Staaten und internationale NGO´s greifen verschiedenen Medien unter die Arme. Die Franzosen zum Beispiel engagieren sich stark im Bereich der Printmedien. Das Medienhaus Ayena, schwerbewacht und im Zentrum von Kabul gelegen, fungiert als Herausgeber von einem Dutzend Wochenmagazinen landesweit. Die Amerikaner haben den in Afghanistan viel beachteten Radiosender Sadaye Azadi, der in beiden offiziellen Sprachen des Landes Dari und Paschto sendet, ins Leben gerufen. Deutschland leistet beim Wiederaufbau der staatlichen Radio- und Fernsehstationen große Hilfe. Nicht nur die Instandsetzung von technischen Anlagen steht dabei im Vordergrund, sondern auch die Aus- und Fortbildung von Journalisten. Im Rahmen einer Vereinbarung mit der afghanischen Regierung produziert das Deutsche Welle Fernsehen täglich rund 20 Minuten internationale Nachrichten in Paschto und Dari, die vom Radio-Television Afghanistans RTA in Kabul gesendet wird. Das Deutsche Welle Radio stockte seine Sendezeiten für Afghanistan auf und ist seit kurzem auch über FM-Wellen im Großraum Kabul zu empfangen. Zudem gibt es von den ISAF-Truppen vorbereitete Radioprogramme, die täglich in Kabul und im Norden des Landes zu hören sind.
Für die Presse und Pressefreiheit wird in Afghanistan also eine Menge getan. Der Anfang ist gemacht. Die Fehler von heute können wertvolle Erfahrungen für die kommenden Jahre sein. Das zarte Pflänzchen der Demokratie kann in Afghanistan ohne eine gut funktionierende Presse nicht gedeihen. Die Gelder, die heute für den Aufbau demokratischer Medien ausgegeben werden, sind nach Ansicht von vielen Afghanen eine wertvolle Investition, die sich in der Zukunft bezahlt machen wird. Falls aber diese Hilfe nicht langfristig angelegt sein sollte, so wird diese neue Vielfalt, die es in der afghanischen Medienlandschaft trotz aller Mängel seit kurzem gibt, schnell wieder verschwinden. Dann wird der Journalist Fahim Daschti nicht auf einen Interviewtermin mit Präsident Karzai warten können, denn sein Blatt wird es in diesem Fall nicht mehr geben. |
1. Jahr Mai 2005