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Gespräch mit Atiq Rahimi

 

 

Herr Rahimi, Sie gehören zu den wenigen afghanischen Literaten, die den begonnenen politischen Prozess nach dem Sturz der Taleban  immer noch für zukunftsfähig halten und ihm unterstützend zur Seite stehen. Sind Sie, wie es auf Seiten Ihrer Kritiker verlautet, zu „naiv“ oder sind ihre Schriftstellerkollegen zu pessimistisch?

 

Rahimi: (lacht) Ich glaube nicht, dass ich naiv bin. Ich bin in den letzten zwei Jahren insgesamt fünf Mal in Afghanistan gewesen und werde in kürze wieder für mehrere Monate in Kabul und in anderen Städten des Landes sein. Ich spreche also über jene Tatsachen, die ich in Afghanistan persönlich erlebt habe und komme zu dem Ergebnis, dass unser Land eine große neue Chance erhalten hat, wir dürfen sie nicht leichtfertig aus der Hand geben. Meine Schriftstellerkollegen dagegen, vielleicht beruflich bedingt, kritisieren Umstände, die in der Regel ein Produkt ihrer Phantasien ist. Sie waren zum größten Teil in den letzten fünf Jahren nicht in Afghanistan gewesen, kennen also nicht die dortigen Verhältnisse.

 

Man muss aber nicht unbedingt durch Afghanistan gereist sein, um zu wissen, dass die Zentralregierung zu schwach und die Warlods zu stark sind, dass die Bevölkerung immer noch unterdrückt wird, der Wiederaufbau nicht voran kommt und die Amerikaner scheinbar konzeptlos diesen Verhältnissen zuschauen?

 

Rahimi: Keiner kann behaupten, dass es in Afghanistan keine Probleme mehr gibt. Doch wenn wir erwarten, dass diese Schwierigkeiten sich von alleine lösen, dann können wir lange warten. Was tun wir, was tun die Herrn und Damen, die sich seit Jahrzehnten auf das Kritisieren der Missstände in Afghanistan spezialisiert haben, damit sich dort das Blatt wendet. Frieden, Demokratie, Menschrechte und Wohlstand müssen erkämpft werden. Man kann sie nicht herbeidichten.

Wir wissen alle, dass unser Problem in Afghanistan in erster Linie nicht ein politisches, sondern ein kulturelles ist.

 

Das heißt?

 

Das heißt, wir müssen lernen, dass es zu jeder Position eine Opposition geben darf, ja sogar geben muss. Wenn Sie die Geschichte Afghanistans in den letzten dreißig Jahren beobachten, so stellen Sie fest, dass alle Regime dieser Zeit, ob sie sich nun als republikanisch, kommunistisch, demokratisch oder islamisch bezeichnet haben, unrechtmäßige Willkürherrschaften gewesen sind. Mit anderen Worten: Die Ausübung von nackter Gewalt gegenüber Andersdenkenden hat in unserem Land eine lange Tradition, die unser Tun stets prägt. Diese mittelalterliche Tradition oder wenn Sie wollen politische Kultur müssen wir bekämpfen mit, dem Ziel, sie langfristig abzulegen.

 

Wie wollen Sie das tun?

 

In erster Linie sind hier die Intellektuellen, die Literaten, die Gelehrten und alle Kulturschaffenden im allgemeinen gefragt. Wir müssen jetzt zupacken, statt die Nase über die Gewalttaten der Warlords zu rümpfen und uns in verschiede Fraktionen zu teilen. Die Schulen, Universitäten, Zeitungsredaktionen und Ministerien brauchen fähige Leute. Es gibt viele Afghanen, die zurzeit im europäischen oder amerikanischen Exil, wenn ich das sagen darf, fast nutzlos ihr Leben fristen. Wieso kehren sie nicht zurück?

 

Die Exilafghanen, die aus Europa oder Amerika zurück gekehrt sind werden in der Kabuler Presse als dekadente Besserwisser bezeichnet und als Hundewäscher der ungläubigen westlichen Menschen. Sie werden öffentlich bedroht und gewarnt, die Ehre der Mujaheddin nicht durch ihre Kritik zu besudeln. Das sind keine ermutigenden Nachrichten!

 

Rahimi: Ach kommen Sie, lassen Sie uns bitte bei den Tatsachen bleiben. Es gibt nur einige wenige Blätter in Kabul, die auf Geheiß von bestimmten Kreisen die Heimkehrer, gerade aus dem Westen, meist ungerechtfertigt und derb kritisieren. Doch es gibt - allein in Kabul – rund 180 Zeitungen und Zeitschriften, soviel wie nie zuvor in der Geschichte unseres Landes. Die meisten dieser Publikationen sprechen sich für ein demokratisches Afghanistan aus und setzen große Hoffnungen auf die Exilafghanen. Wieso erwähnen meine, ach so gut informierten Landsleute in Paris, Berlin oder New York nicht auch diese Stimmen?

 

Wie gut kennen Sie die Presselandschaft im heutigen Afghanistan oder besser gesagt in Kabul, wie frei darf sei sein?

 

Rahimi: Eigentlich ganz gut. Natürlich gibt es die meisten Veröffentlichungen in Kabul, doch bei weitem nicht die einzigen. Auch in Paris gibt es mehr zu lesen, als in den anderen Teilen des Landes. Nun denn, Wir dürfen nicht vergessen, dass wir über Afghanistan sprechen, so müssen die Umstände dort mit den dortigen Maßstäben begutachtet werden. Die Presselandschaft in Kabul ist sehr dynamisch und vielseitig. In den letzten zwei Jahren haben sich qualitativ sehr gute Blätter etabliert, die offen zum Beispiel die Regierung kritisieren. Sie sind zudem eine ermutigende Plattform für junge Literaten und Intellektuelle aus dem ganzen Land geworden. Wenn ich das noch hinzufügen darf, in einem Land mit 90 Prozent Analphabeten gibt es allein in Kabul über 180 Zeitungen und Zeitschriften, ist das nicht enorm?

 

Während Sie in Kabul waren, wurde der Dichter Same Hamed vermutlich durch Handlanger der Warlords mit 16 Messerstichen verletzt und die Zeitschrift Aftab (Sonne) wegen offener Kritik an die „heilige islamische Religion“ verboten. Die Redakteure...

 

Rahimi: Ich bin über die beiden Vorfälle ganz gut informiert und finde sie selbstverständlich höchst bedauerlich. Doch gerade deswegen müssen die demokratischen Kräfte in Afghanistan unterstützt werden. Durch meine vielen Gespräche mit einer Reihe von jungen Literaten habe ich gelernt, dass die neue Generation in Afghanistan, wenn sie auch im Krieg groß geworden ist, sich nach einem demokratischen System sehnt. Diese jungen Leute sind sehr aktiv, haben längst ihre eignen Vereine gegründet, arbeiten sehr pragmatisch ohne jegliche ideologischen Scheuklappen und betreiben auch in ihren Werken Aufklärung. Darf ich ihnen ein Beispiel nennen?

 

Bitte.

 

In Kabul wurde eine Kurzgeschichte von einem jungen Autor veröffentlicht, die für Furore sorgte. Sie erzählte auf einer Seite die Gedanken einer gebärenden Frau, aus der Ich-Perspektive – für afghanische Verhältnisse fast eine kleine Revolution. Viele Zeitungen druckten diese Kurzgeschichte nach und es wurde wochenlang über sie diskutiert. Wenn Sie mir vor zwei Jahren gesagt hätten, dass eines Tages wieder in Kabul öffentlich über Liebe, Freiheit und Demokratie geschrieben wird, so wäre ich geneigt gewesen, sie für verrückt zu halten. Doch heute ist das alles möglich. Können wir zum jetzigen Zeitpunkt mehr erwarten?

 

Kommen Sie mit ihren eigenen Projekten in Afghanistan voran?

 

Rahimi: Ja. In Kürze wird unser Verlagshaus, das den Namen „espand“ trägt, mit seinen Aufgaben beginnen. Ziel unserer Arbeit ist, jedes Jahr bis zu sechs Bücher von afghanischen Autoren zu veröffentlichen und die Menschen zu ermutigen, mehr zu lesen. Wir werden mit den verschiedenen, gutfunktionierenden Radiostationen und dem staatlichen Fernsehen zusammenarbeiten, um die Autoren im Land bekannt zu machen.

Unser Projekt, das zum größten Teil von der französischen Regierung und von intellektuellen Kreisen unterstützt wird, sieht vor, zwei ausländische Romane in den beiden offiziellen Sprachen des Landes (Paschto und Farsi-Dari) zu übersetzen. Zudem sollen jedes Jahr zwei Werke von afghanischen Autoren ins Französische übertragen werden.

 

Konnten Sie auf ihren Reisen in den letzten zwei Jahren durch viele Orte Afghanistans kontinuierliche Verbesserungen im Leben der Menschen feststellen?

 

Rahimi: Eindeutig. Ich möchte aber noch einmal betonen, dass wir nicht vergessen sollten, dass wir uns in Afghanistan befinden. Auf meiner letzten Reise konnte ich vor allem fest-stellen, dass sich die Seelen der Menschen in diesem Land ein Stück beruhigt haben. Woher weiß ich das? Weil Sie in ihren Augen nicht mehr jene Angst, Hoffnungslosigkeit und Gewaltbereitschaft sehen, wie man sie vor noch einem Jahr beobachten konnte. Natürlich gibt es selbst in Kabul Stadtteile, die man bei Einbruch der Dunkelheit lieber meiden sollte, doch ist es in Paris oder New York anders?

 

Wie denken die Menschen auf der Straße über die Regierung von Präsident Karzai und die Präsenz von ausländischen Soldaten in ihrem Land?

 

Rahimi: Die Menschen haben große Hoffnungen, dass es ihnen langfristig besser gehen wird und freuen sich über die Unterstützung der ausländischen Soldaten. Ein alter Schuster sagte mir, er habe in den letzten dreißig Jahren die Hölle hautnah miterleben müssen, er freue sich, dass nun diese Zeit vorbei sei.

Meine Landsleute in Europa und Amerika können sich zum größten Teil nicht vorstellen, was die Menschen in Afghanistan durchgemacht haben. Wir müssen Afghanistan mit den Augen der dort lebenden Menschen betrachten.

 

Denken Sie, dass ihre Landsleute in Europa und Amerika dazu in der Lage sind?

 

Rahimi: Lassen Sie mich Ihnen bitte eine Geschichte von unserem berühmten Mullah Nasiruddin erzählen. Der weise Mullah ist eines Nachts auf dem Weg nach Hause als er bemerkt, dass ein Mann unter einer Straßenlaterne nach etwas sucht. Der Mullah fragt den hilfloswirkenden Mann, wonach er suche. Er antwortet, dass er seinen Schlüssel weit entfernt von der Straßenlaterne verloren habe und hoffe, ihn wiederzufinden. Der kluge Mullah stutzt und sagt, guter Mann, wenn sie ihren Schlüssel an einer anderen Stelle verloren haben, wieso suchen sie dann ausgerechnet hier? Der Mann entgegnet genervt, weil es dort kein Licht gibt.

Damit möchte ich sagen, dass meine Landsleute, meine Schriftstellerkollegen nicht in Europa und Amerika nach ihrem Schlüssel suchen sollten, sie haben ihn nicht dort verloren.

 

Herr Rahimi wir danken Ihnen für dieses Gespräch.