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Afghanistan fünf Jahre nach Beginn des US-Feldzugs

 

Von Ratbil Ahang


Am Donnerstag (5.10.) hat die Internationale Schutztruppe ISAF ihre Mission auf ganz Afghanistan ausgeweitet und das Kommando auch für den unruhigen Osten des Landes übernommen. Rund 10.000 US-Soldaten des Enduring-Freedom-Einsatzes stehen jetzt unter NATO-Befehl. Begonnen hatte diese Militäraktion der USA unter dem Namen Enduring Freedom am 7. Oktober 2001: Luftangriffe auf Kabul markierten den Anfang des weltweiten Krieges gegen den internationalen Terrorismus. Ziele der Operation: Osama Bin Laden, der Chef der Terrororganisation Al-Kaida, sollte tot oder lebendig ergriffen, seine Organisation, die für die Anschläge am 11. September 2001 verantwortlich gemacht wurde, zerschlagen werden. Zudem sollte das Talibanregime abgesetzt werden. Bis Ende des Jahres 2001 wurden die Taliban tatsächlich entmachtet. Der Krieg war schnell gewonnen, doch der Frieden noch lange nicht. Denn die eigentlichen Ziele der Operation Enduring Freedom sind bislang nicht erreicht worden: Bin Laden und Mullah Omar, die Führer der Taliban, sind bis jetzt nicht gefasst. Und der Widerstand der Taliban gegen die amerikanischen Truppen wächst stetig.

                                  

Keine Stabilität in Sicht

 

Fünf Jahre nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in Afghanistan stellen sich viele dieselbe Frage: Wieso sind die Taliban, die 2001 vollständig entmachtet worden waren, wieder so stark geworden? Es gibt viele Antworten: Einige halten die Regierung in Kabul für korrupt oder verweisen auf die massiven Fehler der Amerikaner, die ohne ein umfassendes Konzept das Talibanproblem nur militärisch lösen wollten. Andere bemängeln den langsamen und nicht koordinierten Wiederaufbau des Landes, besonders im Süden und Osten, wo die Taliban am stärksten sind. Wiederum andere geben den hunderten NGOss die Schuld, die enorme Summen der Hilfsgelder für sich behielten. Für die Regierung in Kabul liegen die Wurzeln dieses Übels im pakistanischen Grenzgebiet, wo die Taliban Unterstützung und Zuflucht finden. Die pakistanische Seite weist jede Schuld von sich und sieht im Widerstand der Taliban die Unzufriedenheit der Paschtunen, die sich als größte Volksgruppe im Land benachteiligt fühlen. Viele Erklärungen und Vermutungen, die nicht alle unbegründet sind. Doch Fakt ist, sagt, der afghanische Intellektuelle Hamza Waehzi "... dass Afghanistan heute vom Frieden und Stabilität weit entfernt ist und politisch und gesellschaftlich an einem sehr schwierigen und gefährlichen Punkt angekommen ist."

 

Enttäuschte Hoffnungen

 

Dieser Analyse von Hamza Wahezi schließen sich viele Afghanen an. Dabei hatten sie nach der Vertreibung der Taliban große Hoffnungen auf ein besseres Leben. Die Petersberger Afghanistan-Konferenz bei Bonn im Winter 2001 nährte diese Hoffnungen. Man sah sich nach vielen Jahren des Bürgerkrieges und Talibanherrschaft endlich im Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit. Nun waren sie nicht mehr allein, die Welt versprach zu helfen. Der heutige Parlamentspräsident Junus Qanuni, der auf dem Petersberg die größte afghanische Delegation anführte, sagte damals: "Wenn wir es hier erreichen können, uns auf eine Übergangsverwaltung und ein Parlament zu einigen, so können wir von einem großen Erfolg sprechen."

 

Die afghanischen Delegierten in Bonn, eine schnell zusammen gewürfelte Gruppe mit höchst unterschiedlichen politischen Zielen, standen unter starkem Druck der Amerikaner. Schließlich mussten sie sich nach nur zehn Tagen auf eine Übergangsregierung unter der Führung von Hamed Karsai, eine Figur mit wenig politischer Erfahrung, einigen. Die Interrimsregierung in Kabul, installiert durch die militärische Macht der Amerikaner und durch finanzielle Unterschützung der Staatengemeinschaft, sollte eine neue Epoche in der Geschichte des Landes einläuten. Die Losungsworte der Stunde lauteten: Frieden, Demokratie und Wiederaufbau. Bald bekam das Land - trotz vieler bis heute andauender Grabenkämpfe der Regierungsmitglieder - eine neue demokratische Verfassung. Weiterhin fanden gemäß dem Petersberger-Abkommen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Alles zugegeben große Leistungen für ein vom Krieg zerrissenes Land. Die Leute warteten geduldig auf die Früchte all dieser Änderungen. Sie hörten noch gespannt zu, wenn ihr gewählter Präsident von einer besseren Zukunft sprach. Karsai sagte in einer seiner Reden: "Ich verspreche euch bei Gott, dass ich euch Frieden bringen werde, ich verspreche euch bei Gott, dass ich euch ein besseres Leben bringen werde."

 

Tod und Zerstörung statt Demokratie und Frieden

 

Doch der Regierungschef konnte bis heute seine Versprechungen nicht wahr machen. Der Wiederaufbau erzielte nicht die gewünschten Ergebnisse und die wirtschaftliche Lage der Menschen wurde vielerorts nicht besser. Der labile Frieden konnte nicht, wie einst in Bonn geplant, durch die Bildung einer schlagkräftigen Armee und Polizei gefestigt werden. Die Taliban meldeten sich zuerst mit Einzelaktionen, seit einem Jahr mit offenen Militäroperationen zurück. Worauf die Amerikaner mit Gegenangriffen zurückschlugen - ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Viele Menschen sehen die amerikanischen Truppen - rund 20 000 Mann stark - nicht mehr als ihre Befreier, sondern als eine grobe Besatzungsmacht. Manchen Quellen zu Folge - genaue Angaben gibt es nicht - kamen bislang mehrere Tausend Zivilisten bei US-Bombardements ums Leben, die Verluste der Amerikaner werden auf rund 340 Soldaten beziffert. Viele Dörfer sind durch die permanenten Kämpfe dem Erdboden gleich gemacht worden. Nach neuesten UNO-Berichten sind allein im Süden des Landes über 80.000 Menschen auf der Flucht. Statt Demokratie und Menschenrechte, so der afghanische Oppositionelle Asef Baktasch, brächten die Amerikaner vielen Afghanen Tod und Zerstörung ihrer Häuser: Baktash sagt: "Die Menschen denken nun, dass Demokratie leere Versprechungen bedeutet und nur Menschen mit viel Geld und Macht nützt, nicht aber der einfachen Bevölkerung. Zudem sehen sie, dass ihre einstigen Peiniger, viele Warlords zum Beispiel, heute Dank der Demokratie wieder über ihr Schicksal bestimmen dürfen."

 

Afghanistan braucht mehr Hilfe

 

Die Menschen in Afghanistan wollen keine leere Versprechungen mehr, sondern endlich Ergebnisse sehen. Tom Koenigs, der Sonderbeauftragte der UNO für Afghanistan, kennt diesen Wunsch der Afghanen allzu gut. Er glaubt, dass die internationale Gemeinschaft die vielfältigen Probleme Afghanistans nicht richtig eingeschätzt und versucht hat, mit wenig Anstrengung einen Jahrzehnte lang andauernden Konflikt zu lösen. Es ist ein Konflikt, der regionalen und internationalen Charakter hat. Für Tom Koenigs wird es ohne Stabilität und Frieden in Afghanistan keine Sicherheit vor terroristischen Anschlägen in Berlin oder London geben. Sein Vorschlag für einen Ausweg aus der jetzigen Krise: "Die Chance, dass die Bevölkerung nach der Taliban-Erfahrung eine liberal-islamistische Regierung will und mit der internationalen Gemeinschaft zusammen arbeiten will, die muss man wahren. Dann muss man langfristig den Kurs halten. Wahrscheinlich muss man noch mehr investieren, eher mehr als weniger. Es wird eine Weile dauern, ein Aufwand, der sich aber lohnt."

 

Ob die internationale Gemeinschaft seinen Vorschlag annehmen wird, ist - trotz leiser Zustimmung vieler westlicher Regierungen - noch unklar. Klar ist jedoch, sagt der afghanische Verteidigungsminister Abdur-Rahim Wardak, dass sein Land fünf Jahre nach Beginn des US-Feldzugs gegen die Taliban an einem höchst kritischen Punkt angekommen ist. Er warnt mit deutlichen Worten vor einem Scheitern des Friedenprozesses in Afghanistan: "Zurzeit ist die Zukunft und Existenz unseres Landes in Gefahr. Die wichtigste Aufgabe ist es jetzt - vor allem Gerede über die Luxusware Demokratie - das Land zu retten. Ohne Sicherheit wird es keine Demokratie geben."

 

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2. Jahr                35. Hausgabe                            Oktobar 2006