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Die kulturelle Entwicklung in Afghanistan
von: Dr. Gholam D. Davary
Zu der menschlichen Tragödie in Afghanistan, mit der zurzeit die Weltgemeinschaft konfrontiert ist, gehört die systematische Zerstörung historischer Denkmäler. Den Höhepunkt der Vernichtung jahrtausendealter kultureller Werte erlebten wir im März 2001, als die Taliban die Buddhastatuen von Bamian, den größten Teil der Kunstobjekte des Kabul-Museums und anderswo gelagerten Objekte zerstörten. Nachdem auf der Grundlage der Petersberger Konferenz eine neue Regierung in Afghanistan etabliert ist, fliege ich jedes Jahr nach Afghanistan, um verschiedene Institutionen – z.B. dem Kabul-Museum, dem afghanischen archäologischen Institut, dem Amt für Denkmalschutz – zu helfen. Darüber hinaus unternehme ich selbst Forschungsreisen in verschiedene Gegenden des Landes. Insgesamt stelle ich bei meinen Reisen fest, dass im ganzen Land Raubgrabungen und Plünderungen der Denkmäler stattfinden. Gegenwärtig sind wie früher die pakistanischen Dealer am Werk, die das Land illegal bereisen. Wie mir berichtet wurde, verfügen sie offensichtlich über gutes Kartenmaterial und besitzen viel Geld. Sie bleiben diskret im Hintergrund, während ihre afghanischen Mittelsmänner die Raubgrabungen durchführen, die meist nachts stattfinden. Die gefundenen Objekte werden nach Pakistan gebracht und verkauft. Parallel zu diesen Aktivitäten sind in der pakistanischen Nordwestprovinz professionelle Werkstätten entstanden, die Fälschungen der Kunstschätze herstellen und auf den Markt bringen. Es wurde herausgefunden, dass die Dealer auch Rohmaterial der historischen Stätten in Afghanistan abtragen und nach Pakistan bringen. Die Fälschungen werden dann wieder nach Afghanistan gebracht. Sie landen in den Antiquitätenmärkten oder werden vergraben, um wieder entdeckt zu werden. Es soll der Eindruck entstehen, als ob die gefundenen Objekte echt wären. Dies erschwert die Arbeit der Wissenschaftler. Von den Raubgrabungen und Plünderungen, soweit wir davon Kenntnis erhalten haben, sind insbesondere die Regionen in Takhar, Baghlan, Balkh im Norden, Bamian und Ghazni in Zentrum, Raum Kabul, Logar, Wardak und Nangarhar südlich des Hindukuschs betroffen. So ist z.B. die bekannte Ai-Khanum-Stätte am Amu- und Panjfluß völlig ausgeraubt worden. Einige Akropolissäulen sind noch zu sehen und zwar als Stütze in einem Teehaus in Khwaja Bahauddin. Die Gegend von Surkh Kotal bei Baghlan, wo die bekannten Surkh Kotal- und Robatak-Inschrift nebst zahlreichen Objekten aus der Kuschanzeit (etwa 200 n. Chr.) entdeckt wurden, sind inzwischen beinahe verwüstet. Die Täter waren mit Bulldozern am Werk. Die gefundenen Objekte sollen in mehreren Lastwagen abtransportiert worden sein.
So wie hier in Kharwar (Provinz Logar) findet man überall im Land zerstörte Kulturdenkmäler.
In der Region nördlich von Kabul, also im Schamali-Gebiet ist Kohe Mori und Khom Zargar zu nennen. In vorislamischer Zeit existierte dort eine große buddhistische Gemeinde. In den sechziger Jahren führte der afghanische Archäologe Mostamandy dort Ausgrabungen durch. Von den dekorativen Teilen, wie z.B. Pilaster des Stupas ist nichts mehr erhalten geblieben. Einige Objekte, die ich aus dem Besitz der Einwohner besichtigen und fotografieren konnte, stellen gräko-buddhistische Kunstgegenstände dar, die teils religiösen, teils dekorativen Charakter aufweisen. In der Region Bamian, wo die zerstörten Buddhastatuen ein trauriges Bild zeigen, werden weiterhin geplündert. So wurde bekannt, dass der Stupa von Yakaolang nicht mehr existiere und dass dort sich befindliche baktrische Inschrift verschwunden sei. Durch energisches Eingreifen des Ministers für Information und Kultur in Kabul konnte lediglich die Inschrift gefunden und ins Kabul-Museums gebracht werden. Die Inschrift, die der Verfasser zur Zeit bearbeitet, stellt ein wichtiges Dokument zentralasiatischer Geschichte dar. Durch die Raubgrabungen in Kharwar in der Provinz Loger erhalten wir Kenntnis über die späte Phase der Hephthaliten (der Hunnen in Zentralasien). Die riesige historische Siedlung, die um die Wende des 6. bis 8. Jh. n. Chr. datiert sein dürfte und deren Fläche 3 x 3 km geschätzt wird, ist zwar teils durchlöchert und die Objekte nach Pakistan transportiert worden, trotzdem ist sie prädestiniert für archäologische Forschungen, an der mehrere Teams teilhaben können. Es dauert allerdings eine gewisse Zeit, bis die Sicherheitslage dort gewährleistet ist. Die Region Hadda in der Provinz Nangarhar ist bereits dem Erdboden gleichgemacht worden. Von den sich dort befindlichen Skulpturen und Wandmalereien gräko-buddhistischer Kunst ist nichts mehr übrig geblieben. Durch Raubgrabungen aufmerksam geworden, entdeckte das afghanische archäologische Institut beim großen Friedhof in der Altstadt von Kabul mehrere buddhistische Tempeln. Dort sind Buddhastatuen, stehend oder sitzend, diversen Objekten und Wandmalereien entdeckt worden. Die Ausgrabung hat zwar begonnen, wird es aber lange dauern, bis die Anlage ganz freigelegt worden ist. Eine weltweite große Sensation ist das Auffinden des seit langem als verloren erachteten „baktrisches Golds“. Es handelt sich dabei um die Kunstobjekte aus der Kuschanzeit, die durch Ausgrabungen der ehemaligen sowjetischen Archäologen unter der Leitung von Sarianidi in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Nordafghanistan entdeckt wurden. Sie gilt neben den Pharaonenschätzen in Ägypten zu den bedeutendsten Kunstschätzen der Welt. Sie wird zurzeit im Präsidentenpalast in Kabul aufbewahrt. Doch aufgrund der noch labilen Lage in Afghanistan empfiehlt es sich sie im Ausland für eine Weile in Sicherheit zu bringen.
Ein noch unbekannter hephthalitischer König (5.-6. Jhd.n.Chr.). Darauf deutet seine Gesichtszüge und die große lange Nase hin. Die Krone, Szepter und flatternde Bänder sind mit denen der sasanididischen Könige (Perserkönige) vergleichbar.
Um Raubgrabungen und Plünderungen kultureller Schätze zu unterbinden, braucht die afghanische Regierung eine langfristige Planung, an den ausländischen und afghanischen Experten mitwirken sollen. Sie wird aber abhängig davon sein, wie weit und wie schnell sich die Sicherheitslage im Lande verbessert, um den Plünderern das Handwerk zu legen.
Herr Gholam D. Davary (Wiesbaden, BRD) ist Orientalist und Fachmann für Geschichte und Kultur Zentralasiens
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