Kabulnath
|
Widerruf ohne WirkungSchwerer Vorwurf gegen Ausländerbehörde: Gegen richterliche Beschlüsse und unter Zwang habe das Amt drei Afghanen abgeschoben, statt sie freizulassen. Anwälte kündigen Strafanzeige an. Kirchlicher Dienst geißelt "bewussten Rechtsbruch"von Eva Weikert Diesmal, sagt Thorsten Buschbeck, habe die Ausländerbehörde "eine Grenze überschritten". Der Anwalt will zusammen mit seiner Kollegin Erna Hepp Strafanzeige gegen das Amt stellen, das unter der Verantwortung von Innensenator Udo Nagel (parteilos) "rechtswidrig" agiere. Anlass ist die gewaltsame Abschiebung eines Ehepaares und einer Frau nach Afghanistan am Mittwoch. Gerichte hatten die Abschiebung der drei ausdrücklich untersagt. Nagels Behörde aber habe die richterlichen Beschlüsse ignoriert, so die Anwälte, und ihre Mandanten gegen deren Willen ausfliegen lassen. Munawara Q. (36) sowie Nasir (29) und Nasieha (21) M. sind seit gestern früh in Kabul. Am Mittwoch hatte sie der Bundesgrenzschutz (BGS) per Bus nach Frankfurt/Main gebracht, von wo die Airline Ariana mittwochs in die Hauptstadt des kriegszerstörten Landes fliegt, Start 20.15 Uhr. Munawara Q. war nach Angaben ihres Anwalts durch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts eigentlich vor Abschiebung geschützt - anders als ihr Mann. Aus Angst vor einer Trennung habe sie am Mittwoch spontan der Fahrt nach Frankfurt zugestimmt, die Einwilligung zur Ausreise aber noch auf dem Flughafen widerrufen. "Das ist rechtlich ohne weiteres möglich", betont Buschbeck, "und hätte beachtet werden müssen." Die Ausländerbehörde behauptet indes, "wir würden nichts machen, was rechtlich nicht einwandfrei wäre", so Sprecher Norbert Smekal. Munawara Q. und die M.'s hätten sich freiwillig zur Ausreise bereit erklärt und dies nicht widerrufen. Von Freiwilligkeit könne keine Rede sein, hält auch Anwältin Hepp dagegen: Ihre Mandanten, die M.'s, seien zum Einstieg ins Flugzeug genötigt worden, indem Behördenmitarbeiter sie mit der Drohung eingeschüchtert hätten, bei Rückkehr nach Hamburg inhaftiert zu werden. Viel schwerer aber wiege, dass die Entscheidung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (OVG), dass die M.'s nicht abgeschoben werden dürfen und freizulassen sind, ohne Folgen blieb. Hepp gibt an, der OVG-Beschluss habe sie kurz vor 20 Uhr erreicht. Der sogleich informierte BGS habe ihr zugesichert, dass Paar befände sich gar nicht im Kabul-Flieger und ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde werde sie zurückrufen. "Das ist aber nicht passiert", so Hepp. Statt dessen hätten ihre Mandanten Ausstieg aus der Ariana-Maschine begehrt, als sie über Handy von der OVG-Entscheidung erfuhren. "Sie wurden aber nicht aus dem Flugzeug gelassen", so Hepp: "Ich habe noch nie erlebt, dass ein OVG-Beschluss einfach ignoriert wurde." Die Ausländerbehörde verstoße gegen rechtsstaatliche Grundsätze. "Die Hemmungslosigkeit der Behörde überrascht selbst uns", kommentierte die kirchliche Hilfsstelle für Flüchtlinge "fluchtpunkt": Die Behörde habe "bewusst Recht gebrochen". Ihr Verweis auf die Freiwilligkeit der Ausreise scheitere schon aus formalrechtlichen Gründen, denn die M.'s seien bereits vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise, die nach offizieller Definition eine Gelegenheit zur eigenen Organisation der Rückkehr bieten muss, gebe es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Die Schilderungen der Anwälte bestätigen, dass die Afghanen am Mittwoch massiv unter Druck gesetzt wurden. Das Ehepaar M. war am Vormittag dem Haftrichter vorgeführt worden, der den Antrag der Behörde auf Abschiebehaft zurückwies. Gleichwohl sei das Paar von "fünf bis sechs Polizisten" unter "Androhung von Zwang", so Hepp, in den vor dem Gericht wartenden Bus zum Frankfurter Flughafen eskortiert worden. taz Hamburg Nr. 7841 vom 9.12.2005, Seite 21, 120 Zeilen (TAZ-Bericht), Eva Weikert
|
nach Oben
1. Jahr 13. Hausgabe Juli 2005