Kabulnath
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Afghanistan steht am Abgrund
Krisenherd – Der Besuch von Bundesaußenminister Steinmeier fällt in eine Zeit, in der sich die Taliban mit wachsendem Selbstbewusstsein den internationalen Truppen entgegenstellen.
VON JOAHIM SCHUCHT
KABUL. Deutsche Diplomaten in Kabul bereiten schon den Ernstfall vor. Alle im Land lebenden Bundesbürger sollen sich auf Krisen einstellen. „Falls eine Evakuierung notwendig wird, begeben Sie sich an den Ort, der mit Ihrer Organisation abgesprochen ist oder direkt zur Botschaft“, heißt es in einem Merkblatt für Neuankömmlinge. Es steht derzeit nicht gut aus in Afghanistan, der Ursprungsfront im Anti-Terrorkampf, wo sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier in den nächsten Tagen persönlich ein Bild machen will. Damit setzt sich der SPD-Politiker über eine Besuchersperre hinweg, die CDU-Verteidigungsminister Franz Josef Jung aus Sicherheitsgründen kürzlich für das Bundeswehr-Kontingent am Hindukusch verhängt hat. Steinmeier trifft unter anderen Präsident Hamid Karsai und besucht die Bundeswehr, die in Afghanistan seit vier Jahren die wichtigste deutsche Militärpräsenz im Ausland unterhält. Bei seinem ersten Besuch in dem geschundenen Land sagte er: „Unser Engagement in Afghanistan ist dauerhaft.“ Die vor knapp fünf Jahren vertriebenen radikal-islamischen Taliban erleben dort derzeit ihre Wiederauferstehung, vor allem in den Hochburgen im Süden und Osten, wo es fast täglich zu blutigen Zusammenstößen mit den internationalen Truppen kommt. In Südafghanistan tobten noch wenige Stunden vor Steinmeiers Ankunft die heftigsten Gefechte, seit die Internationale Schutztruppe Isaf dort vor drei Wochen das Kommando übernahm. Zunehmend gerät auch Kabul ins Visier. Selbstmordattentate nach dem aus Irak bekannten Muster häufen sich in der Hauptstadt. Von „immer anspruchsvolleren Operationen“ der Terroristen sprechen deutsche Sicherheitsexperten. Nach Angaben der britischen Organisation Senlis Council ist ein „Niveau der Gewalt“ wie in Irak auch in Afghanistan durchhaus vorstellbar. Die Taliban und ihre Verbündeten, die noch vor vier Jahren als Unterdrücker immer mehr Afghanen wieder als Beschützer betrachtet.
Die Zentralregierung soll weiter geschwächt werden
Erklärtes Ziel der Anschlagswelle ist nach Ansicht der deutschen Expertin Citha Maass, die ohne hin schwache Kabuler Regierung zu destabilisieren. In der Bevölkerung wachse der Ärger darüber, dass Präsident Karsai zusehe, wie einstige Kriegsverbrecher auf Regierungsposen gehievt würden. Zur schwindenden Glaubwürdigkeit der Regierung trägt nach Ansicht von Fachleuten auch bei, dass sich das Leben für die weitaus meisten Afghanen seit 2001 keineswegs verbessert hat. „Wir wollten die Herzen und Köpfe gewinnen. Zur Zeit verlieren wir die Herzen“, lautet nach einem halben Jahre im Land das Fazit von Tom Koenigs. Für den deutschen UNO-Sonderbeauftragten ist längst nicht ausgemacht, „ob wir letztlich hier erfolgreich sein werden“. Für die Organisation „Human Rights Watch“ steht das Land gar „am Rande des Abgrunds“. Nach Überzeugung des deutschen Experten Conrad Schetter gibt es weitere Gründe für die desolate Lage. Dazu habe auch das Auftreten von Mitarbeitern der internationalen Gemeinschaft mit über 1000 im Land aktiven Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beigetragen. „Dazu gehört dass die NGOs in weißen Landrovern durch die Gegend fahren und in den schönsten Vierteln von Kabul wohnen. Dazu gehört auch, dass Kabul eine Boomtown geworden ist. In jeder Ecke findet man Restaurants, in denen Alkohol in Strömen fließ“, sagt der Mitarbeiter des Bonner Zentrums für Entwicklungsforschung.
Quelle: Darmstädter Echo |
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2. Jahr 31. Hausgabe Juli 2006