Darmstädter Echo, Dienstag 14. Februar 2012 Korrespondenten 3

   Tödliches Geschäft mit Assads Häschern

KONFLIKTE Ein türkischer Geheimagent soll einen prominenten Deserteur der syrischen Armee entführt und für ein Kopfgeld an Damaskus ausgeliefert haben

VON SUSANNE GUSTEN

1ST ANBUL. Wie sicher sind syrische Flüchtlinge auf türkischem Boden? Diese Frage stellt sich, nachdem bekannt wurde, dass ein türkischer Geheimagent einen in die Türkei geflohenen prominenten Deserteur der syrischen Armee für ein Kopfgeld von 100 000 Dollar zurück nach Damaskus gebracht haben soll.

Der Mitarbeiter des türkischen Geheimdiensts MIT soll den syrischen Offizier und Oppositionsaktivisten Hussein Harmusch den Sicherheitskräften von Präsident Baschar al-Assad ausgeliefert haben. Nach Angaben der Syrischen Liga für Menschenrechte endete die Entführung für den Oberst, der sich im vergangenen Jahr als erster syrischer Offizier öffentlich von Assad losgesagt hatte, Ende Januar mit dem Tod. Der Dissident soll von syrischen Regierungstruppen hingerichtet worden sein.

Oberst Hussein Harmusch
am 14. September 2011 bei
seiner offensichtlich erzwungenen öffentlichen Selbstbezichtigung im
 syrischen Fernsehen

Ein türkisches Gericht ließ jetzt den Geheimagenten und vier mutmaßliche Komplizen in Untersuchungshaft nehmen, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft im südtürkischen Adana am Montag dieser Zeitung

sagte. Für die Türkei ist der Fall äußerst peinlich, denn Ankara hat wiederholt erklärt, dass alle Syrer in der Türkei Zuflucht finden können, wenn sie dem Druck des Assad-Regimes entfliehen wollen. Die Entführung Hatmuschs wirft nun die Frage nach der Sicherheit für die 7500 syrischen Flüchtlinge auf türkischem Boden auf.

Der MIT-Agent soll den Oberst und einen weiteren oppositionellen früheren Offizier, Major Mustafa Kassum, am 29. August vergangenen Jahres mit Hilfe gefälschter Unterlagen aus einem türkischen Flüchtlingslager in der Grenzprovinz Hatay geholt haben. Der Agent, der nur mit den Initialen Ö.S. identifiziert wurde, habe die bei den Flüchtlinge anschließend an Komplizen übergeben, die sie per Boot nach Syrien schafften. Kurz darauf strahlte das syrische Staatsfernsehen die vermutlich erzwungenen "Geständnisse" von Harmusch aus. Was aus Major Kassum geworden ist, ist nicht bekannt.

Dass die Ergreifung von Harmusch dem Assad-Regime 100 000 Dollar wert war, lag vor allem daran, dass er der erste hochrangige Deserteur war, der sich aus Syrien abgesetzt hatte. Als Harmusch im vergangenen Juni in die Türkei floh, prangerte er öffentlich das Vorgehen syrischer Sicherheitskräfte gegen Zivilisten an und begann mit dem Aufbau von regimefeindlichen Streitkräften. Damit wurde der Oberst zu einem der Mitbegründer der Freien Syrischen Armee (FSA), die gegen Assads Truppen kämpft.

Nach Presseberichten begannen die Ermittlungen, nachdem ein Bruder von Harmusch in einem Brief an den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan von der Entführung berichtet hatte. Ö.S. wurde am 3. Februar bei der Einreise aus Syrien festgenommen, in seinem Auto fand die Polizei eine größere Menge Dollar-Noten: möglicherweise handelte es sich dabei um seine Belohnung. Vom MIT wurde Ö.S. mit sofortiger Wirkung gefeuert. Doch für Harmusch kam all dies zu spät.

Der Tod des Offiziers soll ein Signal an die syrische Opposition senden: Selbst im Ausland ist kein Regimegegner sicher vor dem Zugriff der Assad-Regierung. In Deutschland sollen syrische Oppositionelle von Damaskus ausspioniert worden sein. Die Bundesregierung wies in der vergangenen Woche deshalb vier syrische Diplomaten aus.

Der Fall Harmusch ist auch eine Schlappe für die türkische Regierung, die sich als Beschützer der Assad-Opfer sieht und die syrische Exil-Opposition aktiv unterstützt. Ankara hat den Zugang zu den Flüchtlingslagern in Grenznähe ausdrücklich mit dem Hinweis auf die Gefährdung der Flüchtlinge durch Assads Schergen stark eingeschränkt.

FSA-Chef Riyad al Asaad wird von den türkischen Behörden besonders streng abgeschirmt. Doch nun stellt sich heraus, dass sich offenbar ein türkischer Geheimdienstler von den Syrern kaufen ließ.

Auch für den Geheimdienst MIT selbst kommt die Nachricht von der mutmaßlichen Entführung des syrischen Oppositionsoffiziers zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Erst vergangene Woche hatte die Istanbuler Staatsanwaltschaft führende MIT- Vertreter wegen der Kontakte des Geheimdienstes zu den Rebellen der kurdischen PKK und wegen mutmaßlicher Straftaten von V-Leuten des MIT in der kurdischen Szene zum Verhör geladen. Die Regierung lehnte ab dem ermittelnden Staatsanwalt wurde der Fall entzogen.