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 Mein Hahn

 

Von Spozhmai Zaryab

 

Übertragen aus dem Farsi-Dari von Kawa Ahang

 2. Teil:

 

Es war der Elfte des Monats. Immer, wenn ich meine Mutter sah, während sie in einer Ecke saß und mit ihren Fingern rechnete, wusste ich, dass sie auf der Suche nach dem Elften des Monats war und nach einigen komplizierten Berechnungen würde sie sagen: ,,Morgen ist der Elfte."

Der Elfte jedes Monats war immer der schönste Tag für mich. Ich wusste, dass mich immer an dem Tag, vor dem Sonnenaufgang, der süße Duft des Zuckers und des gebrannten Mehls aufweckten. Ich wusste, dass meine Mutter in der Küche ist und das spezielle Gericht vorbreitet. Und abends breitete sie es in kleinen Portionen auf Brotscheiben vor und legte sie auf ein großes Tablett, das mein Vater draußen vor der Tür an die Passanten verteilte, die sie dankbar annahmen. Am Ende, als ihm die Portionen ausgingen, machte er aus den kleinen Priesen, die noch auf dem Tablett rumlagen, ein kleines Kügelchen und gab es mir zu essen. Das versüßte mir den Abend. Ich wusste, dass immer am Elften des Monats ein blinder Mann an unserer Tür klopft und wir liefen eilig, um die Tür aufzumachen. Der blinde Mann, der ein weißer Turban und einen weißen Bart trug, der einen weißen Stock in der Hand hatte und in weiß gekleidet war, erfreute uns immer mit seinem Besuch. Er bewegte seine Hand mit aufgespreizten Fingern in der Luft, und wie er in die Ferne schaute, suchte er unsere Köpfe. Mein Bruder und ich zogen unsere Köpfe in Richtung seine Hände, er streichelte unser Haar und, wie er in die Ferne schaute, sagte er:

- Unschuldige Kleinen... Gottes Eigentum... Gottes Eigentum...

 

Der blinde Mann ähnelte einer weißen Marmorstatue, deren Bild wir hier und da gesehen hatten. Immer, als uns der blinde Mann besuchen kam, bat ihn meine Mutter respekt- und liebevoll, Platz zu nehmen, gab ihm ein schönes Kissen, woran er sich lehnte, und sie saß ihm bequem und gelassen gegenüber, wie sie sehr selten zu sehen war, und sprach über Gott und die Welt mit ihm. Sie versteckte ihren Mund nicht mit der Ecke ihres Kopftuches und achtete nicht besorgt darauf, dass ihr Kopftuch runterrutschen konnte und man ihr schwarzes, glänzendes Haar sehen würde. Sie war nicht besorgt, dass ihre Hände und Füße nicht mehr als vorgeschrieben herausschauen. Ihre Blicke wanderten nicht hilflos und nichtssuchend hin und her. Die Wörter flogen ihr nicht weg und sie sagte die Sätze nicht schweratmig, stotternd und hastig.

Manchmal wünschte ich mir mit einer kindlichen Bösartigkeit, dass alle Männer der Welt erblinden sollten, damit meine Mutter immer so furchtlos und unbesorgt reden konnte, damit sie ihren Mund nicht mehr mit der Ecke ihres Kopftuches verdecken musste, sondern ihr Lachen mich und unser Haus erhellte...

Manchmal wünschte ich mir mit einer kindlichen Boshaftigkeit, dass alle Männer der Welt erblinden sollten, damit meine Mutter nicht vor jedem Mann ihre Haare unter dem Kopftuch verstecken musste, damit ihre Hände und Füße nicht versteckt bleiben mussten, damit ihre Blicke nicht hilflos nach den ihr aus dem Sinn geflohenen Wörtern suchten, damit sie bequem, schön und langsam reden konnte.

 

Der blinde Mann hörte aufmerksam meiner Mutter zu und zu uns sagte er:

- Unschuldige Kleinen... Gottes Eigentum... Gottes Eigentum...

 

Und dann sprach er über Gott, über seine Barmherzigkeit. Er sprach darüber, wie vergänglich und bedeutungslos die Welt sei. Der Gedanke an seinem gutmütigen, barmherzigen Gott faszinierte uns. Der Wunsch, diesem guten Gott näher zu sein, erblühte in uns.

 

Manchmal setzte ich mich neben den blinden Mann und zeigte ihm meine Zeichnungen. Er, in dem er in die Ferne schaute, tastete sie mit seinen Fingern ab und fragte:

- Was ist das?

- Begeistert antwortete ich:

- Ein Reh... ein Reh...

- Was ist das?

- Eine Katze... eine Katze...

 

Und der blinde Mann erzählte die Geschichte vom Reh, er erzählte die Geschichte eines heiligen Mannes, der an einem heißen Tag in der Sahara ein Reh vor einem Jäger gerettet hatte und das Tier zu seinen hungrigen Kindern geschickt hatte...

Er erzählte die Geschichte eines guten Mannes, auf dessen Tracht eine Katze eingeschlafen war und er zum Gebet musste und damit er die Katze beim Schlaf nicht störte, hatte er mit einer Schere die Stelle abgeschnitten. Ich stellte mir den guten netten Mann mit abgeschnittener Tracht vor und liebte ihn von ganzem Herzen.

 

Meine Mutter brachte immer den Topf mit dem am Morgen vorbereiteten Gericht und stellte ihn vor den blinden Mann. Er setzte sich auf die Knie, schloss seine farblosen Augen und erhob seine Stimme. Er sang etwas, dessen Sinn und Bedeutung ich nicht verstand, aber ich schloss auch meine Augen und ließ mich von seiner Stimme davontragen. Seine Stimme erleichterte meinen Körper und Geist. Sie hob mich auf und ich wünschte, sie klinge bis ans Ende der Welt. Nach dem er ruhig war und Amen gesagt hatte, kostete er ein wenig von dem Gericht, und während er in die Ferne schaute, konzentrierte er sich ganz auf den Geschmack und sagte zu meiner Mutter:

- Gott sei mit Ihnen, Sie haben sehr gut gekocht.

Meine Mutter, die es nicht gewohnt war, etwas Gutes über sich zu hören, lächelte begeistert und sagte:

- Vielen Dank... Vielen Dank...

In der ganzen Zeit kam es mir vor, als käme die Stimme des blinden Mannes aus meinem Inneren, begeistert hörte ich zu.

Es war der Elfte des Monats. Als der blinde Mann seine abgemagerte, weiße Hand in eine seiner Taschen steckte und ich ihn gierig mit meinem Blick verfolgte, lächelte er und sagte:

-  Kinder, ich habe euch was mitgebracht.

Mein Bruder und ich sprangen auf, setzten uns etwas näher zu ihm und fragten

erwartungsvoll:

-  Was haben Sie mitgebracht? Was haben Sie mitgebracht?

Er zog seine Hand aus der Tasche aus und sagte:

-  Einen zweifarbigen Stift habe ich euch mitgebracht.

Und wie er in die Ferne schaute, hob er den Stift hoch und sagte:

-  Eine Seite blau und die andere Seite rot.

Es kam mir vor, als er mich ansprach. Er sagte:

-  Bemale auch Du deine Zeichnungen.

Ich weiß nicht, was für eine Vorstellung er von Farben hatte, was für eine Vorstellung er von

Blau und Rot hatte. Vor lauter Begeisterung sagte er stotternd:

- Wenn es in der Welt keine Farbe gegeben hätte... Wenn die Welt farblos gewesen wäre... Gott hat die Farbe geschaffen.

Und meine Mutter sagte enthusiastisch, was man von ihr nicht gewohnt war, fast schreiend:

Zweifelsohne... zweifelsohne...

Und an dem Tag, an dem Elften, malte ich den Hahn. Stundenlang saß ich beim Malen. Jedes Mal, als ich ihn mir anschaute, kam es mir vor, als würde ich sein Atmen hören. Es kam mir vor, als würde ich seine Körperwärme fühlen. Seine Flügel waren ein wenig aufgeschlagen. Er blickte mit erhobenem Kopf, der zum Himmel gerichtet und mit einer roten Krone geschmückt war, nach oben zu der weißen Stelle des Blattes. Die Federn und Flügeln waren mit den Farben blau und rot gefärbt- dunkelblau, hellblau, dunkelrot, hellrot, Mischungen aus blau und rot-lila in verschiedenen Farbtönen...

Immer, wenn ich mir den Hahn anschaute, konnte ich nicht glauben, dass ich ihn gemalt hatte. Ich hatte noch nie bis zu diesem Tag so etwas Schönes gemalt. Als ich mir den Hahn anschaute, kam es mir vor, als würde er versuchen, sich aus dem Blatt zu befreien... Als ihn mein Bruder sah, sagte er schreiend zu meiner Mutter:

- Komm, komm schnell, sieh dir das an, wie schön sie gemalt hat.

Meine Mutter kam und stand neben mir. Still sah sie sich die Zeichnung an, sah mich an, ging zu der Tür, klopfte mit Fingerspitzen ein paar mal an die Tür und sprach leise vor sich hin. Es kam mir vor, als hätte sie ins Ohr der Tür etwas geflüstert. Sie drehte sich zu mir und sagte:

-  Gott schütze dich! Gott schütze dich! Ich fragte:

-  Wann wird Abend sein?

Meine Mutter duckte sich ein wenig, sah aus dem Fenster zum Himmel, mir kam es vor, als gab es im Himmel eine Uhr, die nur meine Mutter sehen konnte und sagte:

-  Noch ist der Abend weit entfernt.

Ich wurde traurig. Ich wünschte, dass es schneller Abend wird, damit mein Vater nach Hause kommt und meinen Hahn sieht. Noch mal fragte ich:

-  Wie weit ist er weg?

Meine Mutter duckte sich noch einmal, um auf die versteckte Uhr im Himmel zu sehen, in dem Moment wurde laut und hastig an unsere Tür geklopft. Meine Mutter richtete sich wieder auf und lief aus dem Zimmer raus. Ununterbrochen klopfte jemand an die Tür. Mir kam es vor, als versuchte derjenige unsere Tür zu foltern. Mein Bruder lief auch aus dem Zimmer, ich legte meine Zeichnung in den Schrank und lief auch raus.

 

Sobald mein Bruder die Tür aufgemacht hatte, verdunkelte die bekannte raue, unangenehme Stimme eines Verwandten den Hof

 

-  Seid Ihr eingeschlafen? ! Brüllte er.

 

Ängstlich verdeckte meine Mutter sich die Haare und das Gesicht mit dem Kopftuch, so dass nur ihre Augen zu sehen waren. Sie zog die Ärmel wie vorgeschrieben runter und ging mit nach unten gerichtetem Kopf entgegen.

 

Dieser Verwandte war ein fünfzig oder sechzig Jahre alter Mann, dessen Gesichtsausdruck immer unzufrieden und beängstigend war.

Lächeln konnte er nicht. Mir kam es vor, als hätte er nie in seinem Leben gelächelt. Immer, wenn dieser Verwandte zu uns kam, verwandelte sich das Klima in unserem Haus, alles wurde auf einmal düster und traurig. Ich dachte, dass er so etwas wie Angst und Bedrückung ausstrahlt.

Es kam mir vor, als steckte er meine Mutter, meinen Bruder und mich mit seiner bedrückenden Ausstrahlung an. Ich fühlte mich auf einmal bedrückt, meine Mutter war aufgeregt. Durch das Erscheinen dieses Verwandten versank unser Haus in eine tiefe bedrückende Stille.

 

Der Verwandte kam in das Wohnzimmer, setzte sich so auf die Matratze hin, dass er die ganze Matratze für sich in Anspruch nahm, lehnte sich bequem an das Kissen und begann in einer Sprache etwas zu brüllen, was wir nicht verstanden haben...

Meine Mutter bedeckte sich vorschriftsmäßig mit ihrem weißen Tschaddor und setzte sich in eine Ecke. Mir schien es, als wäre sie auf einmal ganz klein geworden.

Der Verwandte drehte sich zu meinem Bruder und fragte brüllend:

-  Wie geht es euch? Geht es euch gut?

 

Die Frage richtete er eigentlich an meine Mutter. Unser Verwandter sprach nie direkt meine

Mutter an. Er sah auch meine Mutter nie an. Meine Mutter antwortete leise:

-  Danke, es geht uns gut.

Mein Bruder hat das wiederholt:

-  Danke, es geht uns gut.

 

Unser Verwandter stellte meinem Bruder auch andere Fragen, worauf meine Mutter antwortete und mein Bruder es dann wiederholte.

Unser Verwandter sah mich auch nie an. Ich saß direkt neben meinem Bruder, aber mir schien es, als wäre ich durchsichtig, als würde ich überhaupt nicht existieren.

Ich wurde unruhig. Ich holte tief Luft ein, sammelte meine ganze Kraft und fragte laut und deutlich:

-  Möchten Sie Tee trinken?

Es kam mir vor, als verwandele sich meine Stimme in einer Schlange und biss unseren Verwandten. Er zuckte zusammen, sah meinen Bruder verärgert an und, indem er meine Mutter meinte, sagte er zu meinem Bruder:

- Hast du dem Mädchen keine Manieren beigebracht? Hast du ihm nicht beigebracht, ruhig zu sein?

Meine Mutter wurde durcheinander. Ihr Gesicht wurde weiß wie die Farbe ihres Kopftuches, und sie sagte stotternd:

-  Habe ich... Werde ich machen. Und dann drehte sich zu mir und sagte bettelnd:

-  Sei doch eine Weile ruhig.

Unser Verwandter antwortete auf meine Frage und sagte zu meinem Bruder:

-  Ja, trinke ich... Einen heißen Tee. Meine Mutter sprang auf und ging aus dem Zimmer.

Eine unangenehme Stille herrschte im Wohnzimmer. Mir schien es, als würde unser Verwandter die Luft erschweren. Ich atmete schwer. Unser Verwandter sah unruhig und ziellos um sich herum. Ich wollte so gerne aufstehen und rausgehen. Aber es schien mir, als hätte er mir meine Kraft genommen. Ich schwitzte. Ich wünschte, dass meine Mutter zurück kommt. Es kam mir zum ersten Mal vor, dass das Teekochen eine lange Zeit in Anspruch nimmt... Endlich erschien meine Mutter mit einem Tablett, das sie mit beiden Händen festhielt, an der Tür, und mir ging es besser. Das Tablett stellte sie vor dem Verwandten hin. Er kontrollierte gierig mit seinen Blicken den Inhalt des Tabletts, nahm eine Handvoll von den getrockneten Maulbeeren und Wallnüssen, brachte sie mit einer geschickten Bewegung in seinen Mund, machte seine Hand noch einmal voll, gab auch meinem Bruder ein Paar Maulbeeren und sagte dann brüllend zu ihm:

- iss, iss.

Er hat mich wieder so angesehen, als hätte niemand neben meinem Bruder gesessen, als würde ich gar nicht existieren, als wäre ich durchsichtig.

Mein Bruder gab mir ein paar Maulbeeren, ohne dass der Verwandte es merkte. Ich dachte, er hätte Mitleid mit mir. Den Mut, sie zu essen, hatte ich nicht. Ich drückte die Maulbeere in meiner Faust. Meine Hand war verschwitzt und die Maulbeere auch.

Unser Verwandter sah meinen Bruder an und fragte:

-  Habt ihr keine Halwa gekocht? Heute ist ja der Elfte!

Meine Mutter sprang wieder auf, ängstlich und um Entschuldigung bittend sagte sie:

-  Doch, doch... Haben wir... Ich bring sie jetzt. Und ging eilend aus dem Zimmer.

Mir schien es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Wieder atmete ich langsam, damit es unser Verwandter nicht hört und sich drüber aufregt.

 

Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis meine Mutter mit einem großen Teller zurückkam und stellte diesen vor ihm hin. Unser Verwandter nahm den Löffel, schmiss ihn auf das Metalltablett und sagte, nein. Er brüllte meinen Bruder an:

-  Wofür hat uns Gott die Hände gegeben?

Und ohne auf eine Antwort zu warten, trennte er ein großes Stück mit den Fingern ab, machte eine große Kugel daraus, öffnete seinen Mund weit auf, platzierte die Kugel im Mund und verschlang sie. Nachdem er den ganzen Teller vor unseren verwunderten Augen leer aß, legte er den leeren Teller mit viel Lärm in einer beleidigenden Art und Weise auf das Tablett. Als er die Blicke von meinem Bruder und mir merkte, schrie er uns an:

Was ist los? Ihr Teufelskinder...

Er hat uns derart böse angeschaut, dass wir ängstlich nach unten auf den Teppich schauten. Auf einmal sagte er verärgert:

-  Wie sitzt du denn? Mit vorgezogener Brust...

Und dann machte er mich nach, zog seine Brust vor und die Schultern zurück.

Ich schaute hilflos um mich herum- Ich wusste nicht, wie ich da saß, dass er noch mal brüllte und meinen Bruder anschaute:

- Hat man ihr nicht beigebracht, dass man beim Sitzen die Brust nicht vorziehen darf Wo bleiben die Manieren?

Mein Bruder guckte erschreckt zu mir. Und ich, ohne zu wissen, was Manieren sind, was sie bedeuteten, und warum unser Verwandter sie sucht, zog meinen Kopf nach unten, und drückte meine Schultern so nah wie möglich aneinander. Es sah aus, als wäre meine Wirbelsäule gebrochen.

Meine Mutter, die verärgert war, sagte ängstlich und stotternd:

Sa. . .gen... Sie. ..bit... te... nicht..so. Sie. . .ist ...noch... ein... Kin...

Er unterbrach meine Mutter und schrie:

-  Was ist noch ein Kind? Sie darf jetzt geheiratet werden.

Er sagte noch andere Dinge über Heiraten, die ich nicht verstand. Ich wusste nicht, was Heiraten ist. Aber unser Verwandter sprach das ,,H" so aus, dass mir Heiraten wie etwas Schreckliches vorkam. Es kam mir vor, als ob auch meine Mutter sich vor diesem Wort erschrocken hätte. Ihr Gesicht war bleich. Sie stand auf und setzte sich neben mich. Sie umarmte mich und drückte mich an sich, als würde sie versuchen, mich in sich und für sich für immer zu verstecken... Sie sagte wieder ängstlich und stotternd:

-  Sie sollten sich vor Gott fürchten.

Ich drückte die getrockneten Maulbeeren der Art fest in meiner Faust, dass mir die Hand weh tat.

Unser Verwandter schrie noch mal sehr laut:

- Ich sollte mich vor Gott fürchten? Ihr solltet das tun, weil ihr Gott nicht kennt... Gott wird euch bestrafen. Euch alle wird er bestrafen.

Ich hatte ein bedrückendes Gefühl in meiner Brust. Ich war bis zu diesem Tag nie bestraft worden. Meine Mutter war auch nie bestraft worden. Ich hatte Angst vor Strafe. Ich bekam große Angst vor Gott. Ich wollte mich irgendwo verstecken, damit mich der Gott unseres Verwandten nicht sieht und nicht findet.

Unser Verwandter schlug seinen Zeigefinger auf seine Brust und sagte:

- Ich kenne den Gott.

Und dann zeigte er mit seinem Finger wie mit einem Dolch auf uns und sagte verärgert:

-  Um Gott zu kennen, muss man Wissen haben! Wissen! Ihr habt kein Wissen! Wieder schlug er seinen Zeigefinger auf seine Brust, und sagte:

-  Ich bin Weise... Ich habe Wissen.

Er sprach ,,Weise" und ,,Wissen" so aus, dass mir beide als etwas Schreckliches und Bedrohliches vorkamen. Vor Wissen bekam ich Angst und vor Weise auch. Meine Mutter war auch erschrocken. Mir schien es, als wäre meine Mutter noch kleiner geworden.

Mein Bruder, der mal zu uns und mal zu unserem Verwandten schaute, sammelte seine ganze Kraft, vielleicht, weil er mir aus der Situation helfen wollte, zeigte mit seiner kleinen Hand auf mich und sagte:

-  Sie... Sie malt sehr gut...

Die Gesichtsmuskulatur unseres Verwandten wurde angespannt. Seine Stirn umwölkte sich. Seine Augen nahmen einen finsteren Ausdruck an. Er fragte erstaunt:

-  Was macht sie? ! Was macht sie?! Mein Bruder wiederholte gebrochen:

 

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1. Jahr                                   4.                       1. hälfte     Mai  2005